325 Minuten & Das letzte Mal

Ob es uns auffällt oder nicht, es gibt einige Dinge, die wir lang bevor unser Leben endet schon zum letzten Mal tun. Es sind Dinge, die wir für selbstverständlich halten. Es müssen nicht einmal positive Erfahrungen sein. Wann waren Sie das letzte Mal nachts wach, weil Ihr Kind geschrien hat? Wann sind Sie das letzte Mal im Meer geschwommen oder auf einer Studentenparty gewesen? 

Ein Überblick

Auf dem Blog Waitbutwhy gibt es einen Kalender, der pro Zeile 52 Kästchen abbildet und 90 Zeilen hat. Er bildet 90 Jahre eines Lebens in Wochen ab. Man kann mit dem Finger auf jene zeigen, die gerade vergeht. 90 Jahre ist auch alles andere als eine sichere Annahme für die eigene Lebenszeit. Wie verbringen wir diese  und ist es genug? 

Das letzte Mal 

In deinem Alltag, so banal er ist, gibt es Dinge, die vielleicht heute zum letzten Mal passieren. Das letzte Mal Bafög beantragen zu müssen, das letzte Mal von einem Lehrer ermahnt werden. Es geht an uns vorbei, ohne, dass wir Merken: Wenn es das letzte Mal war, hätten wir uns gewünscht, es mehr zu fühlen, mehr „Da“ zu sein, noch einmal zurück zu kommen und schauen wie es sich angefühlt hat. 

Wenn wir heute jemandem danken, ist es vielleicht das letzte Mal für diesen speziellen Dank an diese Person. „Danke, dass du so liebevoll für mich gekocht hast“. Wir können in diesen Momenten unser bestes geben, präsent zu sein. Wenn wir uns bedanken können wir es genau so meinen und es ein bisschen mehr fühlen. 

Wir können die Neugier beim treffen einer neuen Person spüren und genießen. Dafür brauchen wir keine Reise in ein fernes Land, kein aufregendes StartUp-Unternehmen, kein schnelles Auto oder eine teure Handtasche.  Wir brauchen nicht perfekte Umstände. Gerade schwierige Umstände werden zum Zauber, wenn sie so nicht wieder zu bringen sind. Wann war das letzte Mal, dass Ihr Auto so alt war, das es geknarzt hat und nach Abenteuer gerochen hat, als sie sich rein gesetzt haben und dann nicht angesprungen ist? Das Problem ist nicht, dass uns Geld fehlt, um bestimmte Erfahrungen zu machen oder weniger Probleme zu haben. 

Genug Zeit

Das Problem ist nichtmal, dass wir zu wenig Zeit haben - auch nicht in dieser schnelllebigen Welt. Angenommen, wir würden jeden Kommenden Moment unseres Leben aufmerksam und dankbar erleben können, weil wir gesund sind und liebe Menschen um uns herum haben, unabhängig davon, ob wir all unsere Probleme lösen oder nicht gelöst bekommen. Egal wie kurz die Zeit wäre, die noch kommt, sie erscheint als Aneinnanderreihung all dieser Momente, die wir richtig gelebt haben lang und wertvoll. Zeit ist nicht das Problem.

Wo ist sie, meine Aufmerksamkeit? 

Das Problem ist also, wo unsere Aufmerksamkeit ist. Wir verbringen nicht nur über 325 Minuten am Tag mit sozialen Netzen, Smartphones und Spielen und Sorgen um genügend likes, sondern die gleiche Zeit beim Fernsehen oder Videos anschauen. 

Sie haben einen Garten und sind körperlich fit? Sie sind in der Lage Unkraut zu jäten. Keine tolle Arbeit? Ich verspreche Ihnen: Fällt eine obiger Voraussetzungen weg, entweder der Garten oder Ihre Fitness, was würden Sie geben, noch einmal an der frischen Luft zu sein, das Gras zu spüren und zu sehen, wie der Garten immer schöner und liebevoller aussieht. Wie hat es sich denn noch mal angefühlt, einfach nur Unkraut zu jäten? 

Es ist nicht, dass die Dinge die wir tun, schlecht oder langweilig sind. Es ist, dass unsere Aufmerksamkeit von vollkommen belanglosen Gedanken so intensiv und ununterbrochen beansprucht wird - von tausenden E-Mail über Staus bis zum Streit mit Ihrer besseren Hälfte. Wir können selbst für diese Situationen dankbar sein, wenn wir unsere Aufmerksamkeit richtig legen und weniger in Gedanken verloren sind. Wenn wir uns mit unserem Leben mehr verbunden fühlen. Einfach einmal tief Atmen. Weil wir es können. 

Ja, manchmal muss man eben im Stau stehen. Aber der Stau ist kein Problem, wenn wir wahrnehmen, wie die warme Sonne auf unseren Arm scheint, wir ruhig und kontinuierlich atmen und sehr nah an kerngesund sind…ja die Möglichkeit haben, durch den Stau zu spät zu einem Termin zu kommen, ohne, dass das für uns langfristig wirklich schwerwiegende Folgen hat…die Möglichkeit haben, in einer Umgebung ohne Hunger oder Krieg zu leben und an Menschen denken zu können die man wirklich liebt und die einen wirklich lieben, während man einfach nur da sitzt und etwas freie Zeit durch einen Stau hat. Die Liste ist lang.

Verbinden wir uns ein bisschen mehr mit dem Leben und sind aufmerksamer. Wer weiß, vielleicht stehen wir heute das letzte Mal im Stau oder fahren das letzte Mal genau diese Strecke in diesem coolen Auto, auch wenn wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch unvorstellbar lang leben. Sind wir einfach ein wenig mehr „da“ und ein bisschen mehr miteinander. Ein bisschen weniger in belanglosen Kartenhäusern aus Gedanken. Wir sind da, gesund und werden geliebt.