"Famine, Affluence, and Morality" Eine Relativierte Interpretation der Kernaussage Singers

Inhalt

 

1 Ausgangssituation und Singers Reaktion

2 Peter Singers Theorie und mögliche Interpretationen

2.1 Kernaussage und Argumentation Singers

2.2 Kritik an Singer’s „Drowning Child“

2.3 Inkohärenz gesunder Moralität

2.4 Mögliche Intention

2.5 Fazit

3 Aussicht

 


 

 

1 Ausgangssituation und Singers Reaktion

Pakistan, 1970: Der Bhola-Zyklon hinterlässt eine halbe Millionen Tote und über 9 Millionen Menschen ohne Obdach. Die Last der Flüchtlinge trifft das gleichermaßen mittellose Nachbarland Indien schwer, es fordert weltweit Hilfe an.

Die Brisanz dieses Themas nutzt der australische Philosoph Peter Singer und beginnt eines der bisher bekanntesten Werke zeitgenössischer Philosophie „Famine, Affluence, and Morality“ mit einem Vergleich der Spendensumme für Indiens Flüchtlingslager gegenüber Investitionen in das Concorde-Projekt oder in die Oper in Sydney. Nachfolgend argumentiert Singer: „Wenn es in unserer Macht steht, etwas sehr Schlechtes zu verhindern, ohne dabei etwas von vergleichbarer moralischer Bedeutung zu opfern, so sollten wir dies, moralisch gesehen, tun.“[1]

2 Peter Singers Theorie und mögliche Interpretationen

Dieser Text beschäftigen sich mit möglichen Relativierungen Singers Aussage, der Kohärenz seiner Beispiele und möglicher Implikationen seiner These für den Alltag. Ist man folglich moralisch dazu verpflichtet, sich bis zum eigenen Existenzminimum sozial zu engagieren oder ist eine relativierte Interpretation Singer’s Hypothese möglich, moralisch tragbar oder sogar sinnvoll?

2.1 Kernaussage und Argumentation Singers

„Wenn es in unserer Macht steht, etwas sehr Schlechtes zu verhindern, ohne dabei etwas von vergleichbarer moralischer Bedeutung zu opfern, so sollten wir dies, moralisch gesehen, tun."[2] Die Argumentation, die auf diese Erkenntnis hinführt, ist wie folgt aufgebaut:

Leid und Sterben, das durch Hunger, mangelnder Medizinischer Versorgung oder Obdachlosigkeit entsteht, ist schlecht. Ist es möglich, etwas Schlechtes zu verhindern, ohne Schaden von ähnlicher Größe anzurichten, ist es moralisch falsch, dies nicht zu tun. Geldspenden an Hilfsorganisationen verhindern unter anderem Leid und Sterben, das durch oben genannte Gründe verursacht wurde, ohne bei uns selbst moralisch vergleichbaren Schaden zu verursachen. Alles nicht für eine gesunde Existenz benötigte, muss somit gespendet werden.[3]

Diese Erkenntnis bezeichnet Singer als die strenge, für ihn korrekte Version, welche sich nur geringfügig in folgenden Details von seiner moderaten Version abhebt: Streng genommen sollte man so viel Geld und Zeit für Hilfe einsetzen, während man Vollzeit arbeitet, sodass man in einem gesunden Existenzminimum ohne Luxus lebt und gerade kein Burnout bekommt.[4] Moderat wäre, immer dann Gutes zu tun, wenn nichts von großem Wert dafür aufgegeben werden müsste [5]wie zum Beispiel ein Besuch der Familie. Ein weltweites Anwenden beider Versionen könne bedeutsame Folgen wie möglicherweise die Abschaffung jeglicher Hungersnöte haben, ein starkes Abnehmen des Konsums und infolgedessen auch einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts und somit wiederum der Kapazitäten für Hilfe.[6]

Allerdings ist die Gesellschaft sowohl heute als auch in der Zeit der Veröffentlichung von „Famine, Affluence and Morality“ weit von diesen drastischen Auswirkungen entfernt.[7] Dadurch wird die Robustheit Singers Forderung nach extremem Engagement gestärkt. Jedoch wird seine Sicht von vielen Philosophen der heutigen Zeit negiert und als extrem oder nicht haltbar betrachtet. [8] Eine Möglichkeit, seine Argumentation zu bemängeln soll in nachfolgendem Abschnitt genauer beleuchtet werden.

2.2 Kritik an Singer’s „Drowning Child“

Die zweite Prämisse in Singer’s Kausalkette „Ist es möglich, etwas Schlechtes zu verhindern, ohne Schaden von ähnlicher Größe anzurichten, ist es moralisch falsch, dies nicht zu tun.“ wird durch das berühmte „Drowning Child“-Gedankenexperiment unterstützt, welches in letzter Zeit kritisiert worden ist ist.[9]Travis Timmerman erweitert dieses Experiment in seinem Essay „Sometimes, there is nothing wrong about letting a child drown“, um es zu entkräften. Im Folgenden werden beide Experimente kurz zusammengefasst:

Sie tragen einen teuren Anzug und gehen auf dem Weg in die Stadt an einem flachen Teich vorbei. Sie sehen ein Kind, das offenbar hineingefallen, und am ertrinken ist. Singer argumentiert: Wenn es in dieser Situation vollkommen irrelevant erscheint, ob wir unseren teuren Anzug ruinieren oder andere zusehen und nichts tun, da wir das Kind in jedem Fall retten würden, sollte dies im Rückschluss auch für unser Spendenverhalten Gültigkeit besitzen.

Nachdem Sie eine anonyme Drohung erhalten haben, dass nun jeden Tag ihres Lebens 200 $ von ihrer Kreditkarte abgebucht werden, sind sie zu Fuß auf dem Weg zu ihrer Bank, um ihre Kreditkarte zu sperren und laufen an unzähligen Teichen vorbei, in denen Kinder ertrinken. Timmerman argumentiert wie folgt: Nach Singer würden Sie erst dann an einem Teich untätig vorbeilaufen, wenn für Sie die letzten 200$, die Sie für Nahrung und Obdach brauchen, auf dem Spiel stünden. Dies würde bedeuten bis zu ihrem Lebensende lediglich ihre biologischen und sozialen Funktionen zu erhalten, und Kinder aus Teichen zu ziehen. Würden Sie sich an ihrem letzten Tag auf der Erde auch noch für das Retten entscheiden? [10]

Es wird also mit Singers Beispiel deutlich, dass die meisten Menschen sich unabhängig ihres Umfeldes jederzeit für das Retten entscheiden würde, wenn es in seiner Macht steht, während Timmerman in seinem Beispiel diese Aussage widerlegt. (Timmerman 2015) Angenommen, man zweifelt die Verlässlichkeit unserer Entscheidung in dieser Situation an — was vielleicht den schlüssigsten Gedanken darstellt — ist sie kein Beleg mehr für Singers zweite Prämisse. Ist es infolgedessen so, dass die Common-Sense-Moralität[11] inkohärent ist?

2.3 Inkohärenz gesunder Moralität

Unsere Entscheidungen zu ethisch-moralisch Relevantem werden in einigen Fällen nicht von bestimmten Faktoren sozialer, lokaler und temporärer Art beeinflusst und somit oft weniger zielführend. So sind wir geneigt, eher zu akzeptieren, dass es ein Akt der Güte ist, Geld zu spenden, als eine Untat, dies nicht zu tun, wenn andere Menschen der gleichen Meinung sind, was aus moralischer Sicht in vielen Fällen kontraproduktiv ist. (Singer 1972 , Zeit Wissenschaftsgespräche: Ist Luxus unmoralisch?) Die starke Abstraktion in der heutigen Welt kann gleiche Folgen haben: Wir nehmen einfach nicht mehr wahr, dass „ein Flug nach New York in der Business-Class moralisch genauso falsch ist, wie einem armen Bauern mit Gift sein Feld unbrauchbar zu machen. Denn Treibhausgase haben genau diese Wirkung. Sie werden sehr wahrscheinlich für lange Dürreperioden in Afrika sorgen, wodurch es Bauern unmöglich wird, sich zu ernähren. Schon heute sterben laut WHO 140.000 Menschen jährlich [an den Folgen des Klimawandels]“[12]

Dieses Beispiel zeigt, dass die Menschliche Empathiefähigkeit sehr stark davon abhängt, wie nah sich Leid zeitlich und geografisch zuträgt. (Singer 1972)

Es gibt folglich eine große Diskrepanz zwischen angewandter und theoretischer Moral. Am größten ist sie in unserem „Bekenntnis, jedes Leben sei gleich viel Wert, [welches] nur ein theoretisches ist. Sobald die Sache praktisch wird, handeln Menschen ganz anders.“[13] So seien die jährlichen Konsumausgaben für Speiseeis in Europa ausreichend um — als äquivalente Spende an Hilfsorganisationen — weltweit jeglichen Hunger zu beenden. (Zeit) Welche Wirkung soll das Schreiben über diese Themen, wie Singers Aufsatz von 1972, Travis Timmermans Kritik von 2015 oder auch dieser Essay bewirken?

2.4 Mögliche Intention

Unter Umständen war es Peter Singer eventuell nur ein zweitrangiges Anliegen, ein philosophisch einwandfreies, haltbares Argument zu konstruieren. Sein Aufsatz scheint vielmehr die Empathiefähigkeit der Leser zeitlich und geografisch ausweiten zu wollen.

2.5 Fazit

3 Aussicht

Jährlich sterben mehr Menschen an Hunger und leicht vermeidbaren Krankheiten, als in Folge des Bhola-Zyklon nach Indien flüchteten. Singers feindselige Einstellung zu Luxus und Konsum (Zeit) scheinen allgemein gesehen sehr berechtigt. Der Effektive Altruismus, eine Philosophie und Bewegung, die versucht mit Evidenz und logischem Denken möglichst vielen Individuen möglichst umfassend zu helfen, beschäftigt sich näher mit den Implikationen von solch großen Forderungen, z.B. von Peter Singer. Gibt es einen sinnvollen Weg zwischen Enthaltung, Egoismus, kompletter Hingabe und extremem Altruismus? Mit hoher Wahrscheinlichkeit schon. Als sehr moralischer und durchführbarer Mittelweg gilt gemeinhin eine Geldspende über 10% des Einkommens. (GWWC)


 

Quellenverzeichnis

Es wurden ausschließlich nachfolgende Quellen verwendet:

·       Famine, Affluence, and Morality. Peter Singer. Philosophy and Public Affairs, Vol. 1, No. 3 (Spring, 1972), 229-243. Stable URL: http://links.jstor.org/sici?sici=0048- 39.15%28197221%291%3A3%3C229%3AFAAM%3E2.0.CO%3B2-3. Philosophy and Public Affairs is currently published by Princeton University Press ...

·       Wissenschaftsgespräche: Ist Luxus unmoralisch? Stefan Klein, Peter Singer, Die Zeit 12/2011, 17. März 2011, http://www.zeit.de/2011/12/Streitgespraech-Moral-Reichtum

·       Die Gewissensfrage, Dr. Dr. Rainer Erlinger, Süddeutsche Zeitung Magazin 08/2008, München

·       Sometimes there is nothing wrong with letting a child drown, Travis Timmerman, Analysis 75 (2):204-212 (2015) https://philpapers.org/rec/TIMSTI

Gültiges Abrufdatum für alle Internetquellen ist der Montag, 29. Januar 2018, 23:00 Uhr.



[1] Die Gewissensfrage, Dr. Dr. Rainer Erlinger, Süddeutsche Zeitung Magazin 08/2008, München

[2] ebenda

[3] Famine, Affluence, and Morality. Peter Singer. Philosophy and Public Affairs, Vol. 1, No. 3 (Spring, 1972), 229-243.

[4] Singer 1972; 238, 241

[5] (Singer 1972, 241),

[6] Singer 1972 242

[7] Singer 1972; 242

[8] Travis Timmerman 2015 204

[9] Sometimes there is nothing wrong with letting a child drown, Travis Timmerman, Analysis 75 (2):204-212 (2015) https://philpapers.org/rec/TIMSTI

[10] ebenda

[11] Der Begriff „Common-Sense-Moralität“ bezeichnet die Regeln, nach denen Menschen durchschnittlich im Alltag moralische Entscheidungen treffen.

[12] Wissenschaftsgespräche: Ist Luxus unmoralisch? Stefan Klein, Peter Singer, Die Zeit 12/2011, 17. März 2011, http://www.zeit.de/2011/12/Streitgespraech-Moral-Reichtum

[13] ebenda